Das Lagerdorf

Straßen, Wohnbebauung, Umwehrung und Gräberfeld

Das Zentrum des Lagerdorfs im geomagnetischen Messbild (Abb.: Posselt&Zickgraf Prospektionen GbR).

Das Zentrum des Lagerdorfs im geomagnetischen Messbild (Abb.: Posselt&Zickgraf Prospektionen GbR).

Struktur und Ausdehnung der zivilen Siedlung (vicus) vor den Toren des Kastells können dank der geophysikalischen Prospektionen erstmalig auf gesicherter Grundlage erschlossen werden.

Eine Ringstraße trennte die Gebäude des Lagerdorfs von den militärischen Anlagen. Aus dem Haupttor (porta praetoria) im Osten führte eine Straße in Richtung des rund 1,5 km entfernten Limesdurchgangs bei Wp 4/61 (Lich-Birklar). Am Ostrand des Plateaus passierte sie einen Steinbau, der als Unterkunftshaus (mansio) gedeutet wird.

Aus dem Westtor (porta decumana) bestand vermutlich eine Straßenverbindung zum Kastell Butzbach. Entlang dieser Trasse zeichnen sich Baustrukturen ab (14). Südlich der Straße sind starke Anomalien sichtbar, bei denen es sich wohl um Töpfer- oder Ziegelöfen handelt (13). Weiter nach Westen liegen die Pfostengruben eines großen dreischiffigen Holzbaus (15), der als Speicherbau (horreum) anzusprechen ist. Er befindet sich im Inneren eines von einem Graben umgebenen 1,3 ha großen Militärlagers, das möglicherweise als Versorgungslager im Zusammenhang mit einem Feldzug in das unbesetzte Germanien entstand.

Vor dem Westtor: Wohnbebauung (14), Öfen (13) und Magazinbau (15) (Abb.: Posselt&Zickgraf Prospektionen GbR).

Vor dem Westtor: Wohnbebauung (14), Öfen (13) und Magazinbau (15) (Abb.: Posselt&Zickgraf Prospektionen GbR).

Vor dem Südtor konzentrierte sich die Ost-West orientierte Bebauung entlang der Straße nach Friedberg (10). Von deren Trasse sind die begleitenden Straßengräben teilweise im Messbild sichtbar. Sie besaß offenbar nur abschnittsweise im Bereich der Senke im Zentrum der Siedlung und im äußersten Süden eine Schotterung sowie einen Unterbau aus Stein.

Die Wohnhäuser des Lagerdorfes standen wie in einer modernen Reihenhaussiedlung auf langen, schmalen Parzellen dicht nebeneinander (20). Die typischen ein- oder zweigeschossigen giebelständigen "Streifenhäuser" waren in Arnsburg bis zu 35 m lang. Zumindest in der Spätzeit der Siedlung verfügten sie über Steinfundamente. Die Dächer waren vermutlich mit Holzschindeln oder Schieferplatten gedeckt. Zur Straße hin besaßen sie wohl einen überdachten Laubengang (porticus). Dahinter lagen die Keller mit ihren gemauerten Zugängen. Im rückwärtigen Bereich schloss an die Gebäude ein Hof- oder Gartenareal an. In einem gewissen Abstand fasst man in Arnsburg an einigen Stellen hinter den Streifenhäusern die Fundamente großer Steinbauten (22, 23). Ein im Norden des Kastellvicus liegender Steinbau (21) mit einem zentral gelegenen quadratischen An- bzw. Vorbau ist dabei sicher als öffentliches Gebäude zu deuten.

Im Osten, Westen und Süden des Vicus erkennt man eine lineare Struktur (12), die einen Großteil der Siedlungsfläche umschloss. Es handelt sich um einen Graben, der wahrscheinlich im 3. Jahrhundert n. Chr. zum Schutz des Lagerdorfes angelegt wurde. Im Süden führt die Straße in Richtung Friedberg durch eine Unterbrechung des Grabenwerks. Der Graben überlagert in seinem Verlauf bereits bestehende Bauten des Lagerdorfes. Sie wurden wie die südlich der Umwehrung nachgewiesenen Bereiche der Siedlung offensichtlich bei Anlage des Grabens aufgegeben.

Das Gräberfeld der Siedlung ist in den bisherigen Messungen, die rund 500 m südlich des Kastells enden, noch nicht erfasst.

Eine Siedlung mit urbanen Strukturen

Ein römischer Großbau aus Stein: Bad II im Luftbild (Foto: S. Sulk).

Ein römischer Großbau aus Stein: Bad II im Luftbild (Foto: S. Sulk).

Bereits 1844 untersuchte Christian W. Fabricius die Räume eines Badegebäudes unmittelbar vor dem Südtor des Kastells. Der Grundriss des 29 m x 18 m großen Bades ist ungewöhnlich für ein Limeskastell. Er entspricht weitgehend Thermenanlagen vom sogenannten Blocktyp. Die bei den Ausgrabungen geborgenen Funde weisen auf eine Errichtung des Gebäudes im Zusammenhang mit dem Bau des Limeskastells um 100 n. Chr. hin. Unweit der Südostecke des Kastells kennt man inzwischen einen weiteren Steinbau, dessen Grundriss dem eines römischen Bades entspricht. In einigen der Räume scheinen die Fußböden noch erhalten zu sein. Dieses zweite Bad könnte seinen älteren Vorgänger ersetzt haben.

Im Süden des Kastellvicus fallen zwei parallel zur Straße nach Friedberg ausgerichtete Steinbauten auf (24). Sie liegen unweit der Südwestecke der Vicusumwehrung. Ihre Grundrisse erinnern an die in Lagerdörfern des Limesgebietes häufig nachgewiesenen Heiligtümer für den Gott Mithras, für die die Lage an der Peripherie der Siedlungen durchaus üblich war.

Grundrisse der als Mithräen gedeuteten Steingebäude im geomagnetischen Messbild (Abb.: Posselt&Zickgraf Prospektionen GbR).

Grundrisse der als Mithräen gedeuteten Steingebäude im geomagnetischen Messbild (Abb.: Posselt&Zickgraf Prospektionen GbR).

Entlang einer Straße (11), die aus der Wetterniederung in das Zentrum der Siedlung führte, zeichnet sich im geomagnetischen Messbild ein Viertel mit Spuren von Großbauten aus Stein ab. Im Nordosten umschloss eine Mauer ein etwa 72 m x 50 m großes Areal (25). Den nördlichen Abschluss des Baukomplexes bildete ein Hallenbau. Ihm war im Süden ein ummauerter Hof vorgelagert. In dessen Mittelachse fällt eine nahezu quadratische Anomalie auf, bei der es sich um das Steinfundament für eine Statue handeln könnte. Die Anlage erinnert in ihrem Grundriss an den zentralen Platz römischer Städte (forum) mit zugehöriger Basilika. Nach Süden folgten darauf ein offenbar freier Platz und dann ein auf die Querstraße ausgerichteter Steinbau (26). Er wird als Versammlungslokal (schola) eines Vereins gedeutet.

Ein Viertel mit Monumentalbauten im Messbild (Abb.: Posselt&Zickgraf Prospektionen GbR).

Ein Viertel mit Monumentalbauten im Messbild (Abb.: Posselt&Zickgraf Prospektionen GbR).

Südlich der Querstraße umschloss eine Mauer eine Fläche, in deren Zentrum ein langrechteckiges Gebäude (27) (ca. 21 m x 7 m) stand. Es wurde im Inneren durch zwei Quermauern untergliedert. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen Podiumstempel mit einem ummauertem heiligem Bezirk (temenos). Östlich davon erkennt man die Mauern eines weiteren Großbaus aus Stein (28) von etwa 17 m Breite und mehr als 25 m Länge. Tempelbezirk und Forumsanlage wurden von der Vicusumwehrung geschnitten und somit offenbar im 3. Jahrhundert n. Chr. aufgegeben.

Südöstlich des Quartiers mit den öffentlichen Großbauten gelang der Nachweis eines annähernd runden Steinfundaments mit einem Durchmesser von 31-32 m (29). Es besaß zwei gegenüberliegende Eingänge. Der Grundriss des Rundbaus entspricht dem römischer Amphitheater. 1893 legte man die 0,60 m breiten Fundamentmauern frei, auf denen hölzerne Tribünen ruhten. Diese Ergebnisse blieben aber lange unbeachtet. Die Arena diente vermutlich nicht nur der Freizeitgestaltung von Soldaten und Zivilbevölkerung. Auch die militärische Nutzung zu Übungszwecken ist denkbar. In Arnsburg könnte der Rundbau als Reitbahn (gyros) zur Schulung der im Kastell stationierten Reiterei genutzt worden sein. Das südlich angrenzende große Holzgebäude (30) wird als Stall oder Magazin interpretiert.

Eine Arena in Arnsburg: Amphitheater (29) und Holzgebäude (30) im Messbild (Abb.: Posselt&Zickgraf Prospektionen GbR).

Eine Arena in Arnsburg: Amphitheater (29) und Holzgebäude (30) im Messbild (Abb.: Posselt&Zickgraf Prospektionen GbR).

Der Nachweis von zivilen Monumentalbauten im Lagerdorf eröffnet neue Perspektiven für die Deutung des Platzes Arnsburg. Für diese Befunde gibt es bisher keine Parallele in einem Kastelldorf am Obergermanischen Limes. Großbauten dieser Art sind typisch für römische Städte. Die besondere Lage des Kastells Arnsburg könnte der Anlass für die Errichtung dieser Bauten im Lagerdorf gewesen sein. In Verbindung mit den nahen Limesdurchgängen erhält der Platz eine herausragende strategische Position; er ist ein Tor in den germanischen Raum. Damit war Arnsburg auch ein Ort, der sich für eine architektonische "Inszenierung" zur Verdeutlichung römischer Macht und Überlegenheit gegenüber den Germanen anbot.

Text: Dr. Carsten Wenzel, Göllingsweg 4, 61191 Rosbach